
Was werden die elf Milliarden Menschen in 80 Jahren essen? Eine entscheidende Frage angesichts knapper werdender Agrarflächen und ständig wachsender Fleischnachfrage. Ein Teil der Lösung könnten Insektenchips, Fleisch aus der Retorte und Algenprodukte sein.
Zahlen & Fakten
Millionen Tonnen Fleisch wurden weltweit laut FAO 2017 produziert.
Billionen Zellen entstehen bei der Produktion von Fleisch aus der Retorte aus der Muskelzelle eines Rinds. Letztlich wachsen daraus bis zu 10.000 Kilogramm Fleisch heran.
Die Weltbevölkerung wächst stetig, auch ihr Fleischhunger wird von Jahr zu Jahr größer. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FAO stieg die Fleischproduktion 2017 bereits um 1,25 Prozent auf insgesamt 323 Millionen Tonnen. Bis 2050 lautet die Prognose, dass weltweit doppelt so viel Fleisch produziert werden müsste wie heute, um die Nachfrage zu befriedigen. Derzeit steigt diese gerade in den Entwicklungsländern deutlich an. Kein Wunder: Allein 2017 zählte die UN weltweit ein Plus von 83 Millionen Menschen, also ungefähr so viele, wie in Deutschland leben. 2050 sollen schließlich bis zu 9,8 Milliarden, in über 80 Jahren sogar 11,2 Milliarden Menschen auf der Erde leben. Eine enorme Herausforderung, denn bereits heute dienen 80 Prozent der Ackerflächen rund um den Globus der Fütterung oder Beweidung von Nutztieren.
Mittagessen aus dem Drucker
Was also könnten Lösungsansätze für die Ernährung der Zukunft sein? Wagen wir einen kleinen imaginären Zeitsprung ins Jahr 2.100. Manuel M. hat Hunger im Homeoffice und bereitet sich sein Mittagessen zu: Aber nicht in der Küche, er muss dafür nicht einmal sein Arbeitszimmer verlassen. Stattdessen greift er zum Smartphone und misst seine Ernährungswerte per Fingerkuppensensor und App. Wie empfohlen druckt er sich einen In-Vitro-Fleisch-Burger aus – sein 3D-Drucker enthält auch einen Bioreaktor für Fleisch und ersetzt für ihn mittlerweile die Küche, man nennt das „printed meal“. Die Inhaltsstoffe sind perfekt auf seine Nährstoffbedürfnisse und sein Fitnesslevel angepasst. Dazu holt er sich aus seiner Abstellkammer ein paar proteinreiche Buffalo-Chips, nicht aus Kartoffeln, sondern aus den Larven von Buffalowürmern. Der Fisch, der für den Abend vorgesehen ist, stammt aus der hauseigenen Aquaponik-Kultur im Gartentank des Mietshauses. Selbst der Beilagensalat wächst prächtig auf dem Dach; mithilfe des Fischkots als Dünger und der automatisch aus dem Biomüll kompostierten Erde. Alles bleibt inhouse. Und was gibt es zu trinken? Einen gesunden Algenshake. Der kommt aus dem Beleuchtungssystem der Flure, das zugleich der Algenreaktor des Hauses ist – in den modernen LED-Röhrenwänden gedeihen Spirulina-Algen einfach prächtig.
Das wird noch mehrere hundert Jahre dauern? Wahrscheinlich nicht. Teile dieser Vision sind schon Realität: Eine Firma in Schwaben produziert etwa Nudeln mit Insektenanteil (10 Prozent Buffalowürmer-Larven) und verkauft sie auch schon im Einzelhandel und Online.
Steaks aus der Petrischale
Auch sogenanntes In-vitro-Fleisch oder Clean Meat existiert bereits, auch wenn man das Fleisch aus dem Labor noch nicht kaufen kann. Das Prinzip stammt aus der Medizin und könnte das Fleischproblem der Zukunft lösen. Tieren werden Muskelstammzellen entnommen. Damit lassen Wissenschaftler in der Petrischale Fleisch wachsen. Das Muskelgewebe, aus dem das Retortenfleisch bestehen soll, wird in einer Nährlösung aus Zucker, Aminosäuren, Mineralien, Vitaminen und einem Wachstumsserum zum Burgerpatty oder Steak. Bereits 2013 präsentierte der niederländische Forscher Mark Post die ersten 140 Gramm künstlichen Hackfleischs an der Universität von Maastricht (Niederlanden) – damals lag der Preis dafür noch bei satten 250.000 Dollar. Einer seiner Geldgeber war übrigens Sergey Brin, Co-Gründer von Google. Und bis dato war es erfolgreich. Heute lässt der Wissenschaftler Mark Post sein Kunstfleisch in den Bioreaktoren seines Start-ups wachsen. Ein Kilogramm soll nur noch neun Dollar Kosten, sobald die industrielle Produktion läuft. Was in der Glasschale passiert: Bei der Zellteilung aus der Muskelzelle eines Rinds entstehen eine ganze Billion weiterer Zellen und letztlich wachsen daraus bis zu 10.000 Kilogramm Fleisch heran. Die Entwicklung von Laborfleisch scheint sich derzeit Schlag auf Schlag zu entwickeln: 2017 stellte ein kalifornisches Start-up das erste In-vitro-Geflügel der Welt vor. Bill Gates investierte daraufhin Millionen in das Unternehmen. Mark Post rechnet damit, dass das künstlich erzeugte Fleisch 96 Prozent weniger Treibhausgas erzeugt als konventionelle Fleischproduktion und Massentierhaltung. Auf der Website von Posts Unternehmen steht, dass mit seiner Methode Zellenspenden von nur 150 Kühen ausreichen würden, um den weltweiten Fleischbedarf zu decken. Und: Die Kühe blieben natürlich am Leben. Aber erst einmal soll die Markteinführung kommen, in etwa drei bis vier Jahren. Weniger Methan und andere Treibhausgase und ein geringerer Wasserverbrauch bei der Tierhaltung wären zusätzliche schlagende Argumente für ein solches Fleischprodukt. Das Interesse der Verbraucher könnte groß sein: Laut einer Studie des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie sehen die Befragten im Laborfleisch durchaus eine von mehreren Alternativen gegenüber der konventionellen Fleischproduktion.
Algen – nicht nur für Sushi
Zurück zu Manuel M.: Algen gehören für ihn, wenn nicht auf den täglichen, dann zumindest auf den wöchentlichen Speiseplan. Im Keller seines Hochhauses stehen Bioreaktoren, die genug Meeresalgen für alle Mieter produzieren. Mit einer Flatrate erhält man per Klick regelmäßig seine Wochenration. Einmal pro Woche erntet der Algenfachmann, bringt neue Jungpflanzen aus und stellt die frische Lieferung vor die Wohnungstür. Überall in der Stadt werden – meist in unterirdischen Farmen – solche Algen produziert. Ihr Öl wird auch zu Biokraftstoff verarbeitet und die verbleibenden Pflanzenreste dienen Kühen und Fischen als proteinreiches Futter. Klingt weit hergeholt? Keineswegs.
Algen sind eine der ältesten Pflanzenarten der Erde und gelten gar als eine der ersten Lebensformen auf unserem Planeten – könnten sie in Zukunft also tatsächlich eine der Hauptnahrungsquellen der Menschheit werden? Grundsätzlich liefern sie viele Proteine, Mineralstoffe wie Eisen, Calcium, Jod, Kalium oder Vitamin B12 und besonders ihr Omega-3-Fettgehalt hält locker mit Fisch mit. Dabei sind sie ungemein anspruchslos und gedeihen auch unter widrigen Bedingungen, solange Sonnenlicht und Wasser vorhanden sind. Es muss nicht einmal sauberes Trinkwasser sein. Auch als Nahrung für Nutztiere und Pflanzen sind Algen geeignet. Man unterscheidet Mikro- und Makroalgen. Die bekanntesten Mikroalgenarten sind Spirulina und Chlorella. Sie werden zu Pulver oder Tabletten verarbeitet, Makroalgen lassen sich dagegen wie Salat oder Gemüse frisch ernten und verarbeiten. Mikroalgen gedeihen sehr gut in Bioreaktoren, Makroalgen benötigen meist Marikulturen, also Küstenfarmen an Meeresküsten, um optimal zu wachsen.
Trendgemüse mit Tradition
2016 wurden laut FAO weltweit insgesamt 31 Millionen Tonnen Algen produziert. Das meiste davon in China. In Realität ist die Produktion wahrscheinlich wesentlich höher, da die Datenlage nicht optimal ist.
Bei genauerer Betrachtung fällt auch auf, dass Algen eigentlich nicht so ganz neu auf dem Speiseplan der Menschen sind: Etwa 500 Arten landen weltweit schon auf dem Teller. Vor allem im Ostasiatischen Raum werden sie traditionell gegessen, etwa als Miso-Suppe. In Japan sind Blätter der Sorte Nori fester Bestandteil der Sushi-Tradition und auch Algen-Eis ist beliebt. Hierzulande findet sich Agar als pflanzliche Gelatinevariante zum Beispiel in Sahne oder Marmelade. So hat eigentlich jeder Europäer schon direkt oder indirekt Algen gegessen, meist in verarbeiteter Form als Stabilisatoren, Binde- und Geliermittel. Allerdings gibt es einen Risikofaktor für den Anbau in großem Maßstab: Die Zucht muss streng kontrolliert werden, da die Pflanzen Schwermetalle wie Blei, Arsen und Jod aus ihrer Umgebung genauso binden wie Nährstoffe. Die Algenproduktion könnte viele Perspektiven eröffnen: Ob in Form von proteinreichem Tierfutter für Wiederkäuer und Fische oder als getreidefreier Rohstoff für Biokraftstoffe, der nicht in Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion tritt. Viele starke Argumente sprechen für den Anbau: Zuallererst haben Algen den entscheidenden Vorteil, dass sie kein zusätzliches Ackerland belegen und zehnmal so schnell wachsen wie oberirdische Pflanzen. Sie gedeihen auch auf unfruchtbaren Böden, sogar in der Wüste und binden nicht einmal Süßwasserressourcen, da viele Arten niedrige Ansprüche an die Wasserqualität stellen. Pro Hektar und Jahr produzieren die ertragreichsten Sorten etwa 30 Tonnen Eiweiß unter Idealbedingungen. Theoretisch könnte also künftig in jeder Küche etwa neben der Mikrowelle eine Mini-Algenfarm stehen.
Globale Dynamik
Allein die derzeit größte Algenfarm in Deutschland hat ein Glasröhrensystem von über 500 Kilometern Länge und mehr und mehr Start-ups schießen in die Höhe, die Nudeln, Saucen, Brotaufstriche und etwa Algencracker herstellen. Sogar die erste Algenlimo ist mittlerweile im Handel. Eine große Herausforderung bei der Herstellung gibt es jedoch: Die meisten Makroalgen werden derzeit noch in Marikulturen angebaut, also in Küstenbereichen. Und: Wo man dem Meer eine große Menge Algen zufügt oder entnimmt, bringt man das bestehende Ökosystem aus dem Gleichgewicht.
Nichtsdestotrotz zeigen all diese Beispiele auch, dass Essen mitsamt Lebensmittelproduktion, -herstellung und -handel eine immer größere globale Dynamik entwickelt, die genaue Prognosen nicht leicht macht, vor allem, wenn man die Essenskultur mit einbezieht. Das bestätigt ein Blick in die Vergangenheit: Nahrung diente noch vor hundert Jahren rein der Sättigung und war einfach das „Einverleiben der Nahrung“, die lokal verfügbar war, wie es der Kultursoziologe Georg Simmel formulierte. Derzeit wird Essen mehr und mehr zu Statussymbol. Es steht im Zeichen von Kultur, Gesundheit und dient mehr und mehr der Selbstoptimierung. Auch das wird enorme Auswirkungen haben. Welche, wird die Zukunft zeigen.